Logo    
     
ÜBERSICHT
THEATER
MUSIKTHEATER
EVENT
VARIETÉ & SHOW
THEATERPÄDAGOGIK
KULTURPÄDAGOGIK
SOCIAL-ART-PROJECTS
PÄDAGOGIK
WERKSTATTGESPRÄCHE
DIENSTLEISTUNGEN
VITA
BONUSMATERIAL
PRESSEMATERIAL
LINKS/PARTNER
KONTAKT/IMPRESSUM
 
« neueres zurück zur Übersicht älteres »

Emigranten
Slawomir Mrozek

Rolle: XX
Regie: Margot Müller
Kleines Ensemble Bremen
1997


Es ist eher ungewöhnlich, Theatertexte in Bahnhofsbuchhandlungen zu finden, und wenn es das einzige Mal gewesen sein sollte, hatte ich das Glück, Slavomir Mrozeks »Emigranten« in einer dieser ständigen Wartezeiten auf einem kalten Bahnhof zu finden. Damit war mir ein ideales Stück für das Kleine Ensemble in die Hände gefallen, das ich beschloss, mit Pablo Keller und unter der Regie von Margot Müller zu erarbeiten.

Ein Kellerraum, feucht, dunkel, erfüllt von Mief, erleuchtet von einer nackten Birne. Ein Tisch, zwei Stühle, zwei Betten.
Eines mit peinlich geordneter Umgebung, das andere umgeben von Büchern, Zeitungsartikeln und alten Socken. Unter beiden Koffer und Konserven. Schauplatz einer ungewöhnlichen Lebensgemeinschaft.
Wie zwei Bakterien in einem riesigen Gedärm aus Abflußrohren, haben sich hier zwei Emigranten desselben Landes eingenistet. Die Verbindungen zwischen dem politischen Flüchtling auf der einen Seite und dem sich nach materiellem Wohlstand abrackernden Gastarbeiter auf der anderen sind äußerst brüchig.
So gehen sich beide in dem engen Kellerraum nach Kräften auf die Nerven.
Der Selbstmordversuch des einen und das nächtliche Schluchzen des anderen erinnern daran, daß die Suche nach Freiheit, zu deren Formen auch Emigration gehört, vor allem schmerzvoll ist.
Das Bild, das Mrozek schafft, ist klassisch: in den beiden Emigranten erkennt man bald sich selbst:
den einen Teil nach Wohlstand, den anderen nach hohen Idealen strebend.


Textauszug
AA Warte mal. Was ist denn das? (nimmt die
     Dose in die Hand) Das ist für Hunde.
XX Wieso für Hunde …
AA Hier steht ganz deutlich: … Nahrung für
     Haustiere …
     Überzeugt dich das nicht?
XX Wenn es für Katzen is, kann ich’s essen,
     aber wenn es für Hunde is, dann nich …
     Bin ich denn ein Hund, daß ich Hundefutter
     fresse?
AA Kein Mensch ist ein Hund. Jedenfalls … sollte
     er keiner sein.
XX Du, sag doch, kann ich vielleicht, oder?
AA Du könntest, eventuell …
XX Bestimmt?
AA Du kannst, du kannst … (schreit plötzlich)
     Außerdem friß doch, was du willst, was geht
     mich das an!
XX Das heißt ich kann? (Er macht sich daran,
     die Dose mit einem Beil zu öffnen).




Der Autor
Slawomir Mrozek wurde 1930 in der Umgebung von Krakau geboren. Nachdem er zunächst als Karikaturist und Feuilletonist arbeitete, wandte er sich später der Erzählung zu und wurde zum Meister der Satire erklärt.
»Der Elefant« (1958), »Hochzeit in Atomweiler«, »Unterwegs«, »Flucht nach Süden« sind nur einige seiner bekanntesten Werke aus dieser Schaffensperiode.
Mit seinem ersten Stück »Die Polizei« (1958) sicherte sich Mrozek eine führende Position im modernen Theater auch über sein Land hinaus.
Später ging Mrozek völlig zum Theater des Absurden über und zwar mit Stücken, in denen zwei, höchstens drei Personen auftreten, die sich in eine existentielle Situation geworfen sehen. So z.B. in »Auf hoher See« (1960), »Striptease« (1961), »Tango« (1965).


Inmitten all des Heimgesuchten, in der Wirrnis,
in der wachsenden Lust, weine ich, lauschend
in den reinen Kreislauf, ins Anwachsen,
ziellos dem weichend, was da kommt,
dem, was mit Ketten und Nelken bedeckt da auftaucht,
meine moralischen Bleibsel ertragend, träume ich.

Pablo Neruda
(Aus: »Des Morgens Schwäche«)


Hintergründe zu unserer Arbeit an »Emigranten«

Es ist eher ungewöhnlich, Theatertexte in Bahnhofsbuchhandlungen zu finden, und wenn es das einzige Mal gewesen sein sollte, hatte ich das Glück, Slavomir Mrozeks »Emigranten« in einer dieser ständigen Wartezeiten auf einem kalten Bahnhof zu finden. Damit war mir ein ideales Stück für das Kleine Ensemble in die Hände gefallen, das ich beschloss, mit Pablo Keller und unter der Regie von Margot Müller zu erarbeiten. »Emigranten« lebte, wie auch die anderen Stücke, die ich mit Pablo spielte, stark aus unserem Wesensunterschied, der immer für eine – zumeist – gute Spannung sorgte. Wir lebten in unseren Rollen zweifelsohne auch unsere privaten Aspekte aus, wodurch unsere gemeinsamen Stücke unglaublich authentisch wurden (Ich habe weder zuvor noch danach mit einem Kollegen gearbeitet, mit dem das gesamte innere und äußere Timing in dieser Weise funktionierte!).
Mrozeks Text ist großartig nah an den Figuren geschrieben, eingängig und gut spielbar. Dazu kam bei unserer Arbeit die hervorragende Regie von Margot Müller, die akribisch jeden Halbsatz auf die Stimmigkeit schlüssiger Subtexte hin immer neu prüfte und ausprobierte. Mit dem Mittelmaß gab sie sich nie zufrieden. Die Arbeit war gerade dadurch sicher auch ungeheuer anstrengend. Die Art des Weges war jedoch jeden Moment so von Margot Müller gestaltet, dass gut nachvollziehbar war, warum wir Haltungen, Stimmungen und Tempi unendlich lange und neu greifen und probieren mussten. Ich denke, dass ich selten so viel Entscheidendes über Regie gelernt habe, wie in dieser Zusammenarbeit.
Was mich in dieser Produktion durchaus erschreckte, war, wie tief wir zeitweise in die Rollen und ihre Situation einstiegen, sodass einmal sogar ein Beil versehentlich neben mir im Boden steckte, in einer Konfliktsituation zwischen beiden Rollen.
Musik und Licht steuerten wir über einen versteckten Schaltkreis, den wir am Tisch, Bett oder Stuhl in Bewegung setzen mussten. Die Schwierigkeit bestand jedoch darin, dass die Schalter nur in einer festen Reihenfolge geschaltet werden konnten. Ein Versehen – und wir hätten nichts mehr stoppen können bis Ende der Vorstellung.
Da unsere Bühnenbilder flexibel wie sparsam waren, konnten wir zeitweise mit zwei Produktionen parallel auf Tour gehen, so dass wir nachmittags »Don Quichotte« und abends die »Emigranten« spielten.
Wie bei vielen ernsten Stücken, war es auch bei den Emigranten schwer, sie auf Tournee an Bühnen zu verkaufen, die ihre Einnahmen eher aus Kabarett- oder Comedy-Produktionen erzielten.
Trotz alledem gelangen uns zwei schöne Tourneen mit dem Stück, wenn auch mit zum Teil grotesken Spielorten und Bühnensituationen, die eher für ein still stehendes Bühnenduo ausgelegt waren, als für ein bewegtes Zwei-Personen-Stück.


« neueres zurück zur Übersicht älteres »